Gelenke – Schlüsselstellen des Körpers
Gelenke sind ein Wunder. Wer einmal die Gelegenheit hatte, ein echtes Gelenk von innen zu sehen, die perfekte Passform der Knochen und die makellose Glätte eines gesunden Knorpels, wird diese Schlüsselstellen unseres Körpers mit anderen Augen sehen.
Als bewegliche, aber stabile Verbindung zwischen den Knochen geben sie zusammen mit Muskeln und Faszien dem Körper genau das richtige Maß an Beweglichkeit und Stabilität.
Erst durch die Gelenke wird das Skelett beweglich und Muskeln, Bänder und Sehnen in ihrer effektiven Kraftübertragung unterstützt.
Bei unseren Pferden müssen sie dabei Kräfte von mehreren 100 kg tragen und weiterleiten – und das nahezu rund um die Uhr, ein Pferdeleben lang.
Zu sehen ist hier das Femoropatellargelenk, das Gelenk zwischen Oberschenkelknochen und Kniescheibe. Man sieht deutlich, wie wunderbar glatt und gleichmäßig der Knorpel ist.
Gelenkknorpel und Synovia als Grundlage der Beweglichkeit
Um dieser Aufgabe reibungslos nachkommen zu können, spielen der Gelenkknorpel und die Gelenkflüssigkeit eine große Rolle.
Als dicke glatte Schicht überzieht der Gelenkknorpel die Artikulationsflächen der Gelenkpartner. Durch seine extrem glatte und gleichmäßige Oberfläche ermöglicht er die reibungsfreie Bewegung der Knochen gegeneinander. Mehrere Millimeter dick und mit hoher Druckelastizität ausgestattet, trägt der Knorpel außerdem wesentlich zur Stoßdämpfung des Gelenks bei.
Unabdingbar für diese Funktionen ist die Synovia, die Gelenkflüssigkeit. Sie befeuchtet den Knorpel und hält ihn so prall, elastisch und gleitfähig. Als dünne Schicht zwischen den Knorpelflächen und zähe Flüssigkeit innerhalb des Gelenks wirkt die Synovia außerdem stoßdämpfend.
Die Synovia versorgt den Knorpel zudem mit Nährstoffen und befreit ihn von Abfallprodukten. Eigene Blutgefäße für diese Aufgaben hat der Knorpel nicht.
Wird ein Gelenk physiologisch, d.h. entsprechend seiner Aufgabe, beansprucht, wechseln sich Be- und Entlastung des Knorpels stetig ab. Unter Last wird der Knorpel zusammengepresst und die Synovia und enthaltene Schlacken hinaus gedrückt. Unbelastet dehnt sich der Knorpel wieder aus und saugt sich dabei mit Synovia und neuen Nährstoffen an.
So betreibt der Knorpel seinen Stoffwechsel wie ein Schwamm.
Bewegungsarmut als Schadensmechanismus für den Knorpel
Damit wird auch sofort klar, was passiert, wenn unsere Pferde – oder auch wir! – zu wenig Bewegung haben oder unsere Gelenke durch Verspannungen oder Verletzungen in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind.
Steht ein Pferd stundenlang am selben Fleck, sei es in der Box oder im Offenstall an der Heuraufe, sind seine Gelenke nahezu dauerhaftem und sehr punktuellem Druck ausgesetzt. Es geht vielleicht zwischendurch einige Schritte oder verlagert sein Gewicht – aber eine regelmäßige und gleichmäßige Be- und Entlastung der Gelenke wie im Gehen findet nicht statt.
Bei uns ist es das stundenlange Sitzen vor dem Computer, die Knie, Hüfte und Halswirbelsäule in die immer gleichen Haltung bannen und den Knorpel dort auf eine harte Probe stellen.
Durch die nahezu immer gleiche Gelenkstellung, beim Pferd im Stehen vor allem an den Gliedmaßen, werden einige Gelenkbereiche fast permanent belastet, andere Bereiche kaum.
Die für die Ernährung des Knorpels nötige rhythmische Ent- und Belastung findet kaum statt, der Knorpel wird unterversorgt und Abfallstoffe sammeln sich an. Neben der reduzierten Versorgung und Reinigung des Knorpels scheint dies zusätzlich die Zusammensetzung der Gelenkflüssigkeit negativ zu beeinflußen und die Entstehung von knorpelabbauenden Enzymen zu fördern
Hält dieser Zustand dauerhaft an, beginnt sich der Knorpel zu verändern.
Durch den Dauerdruck und die Unterversorgung verliert der Knorpel seine Elastizität, er wird trockener, rauher und somit anfälliger für Risse und Abrieb. Der verstärkte Abbau dünnt den Knorpel aus und seine Kapazität als Stoßdämpfer schwindet. Stöße werden schlechter aufgenommen und der vorhandene Knorpel zusätzlich belastet. Sind erst einmal Knorpelschäden wie Risse oder Rauigkeiten vorhanden, nimmt der Abrieb weiter zu und der Knorpel wird immer dünner und geschädigter.
Im schlimmsten Fall liegt irgendwann der Knochen frei und das Gelenk sehr schmerzhaft und entzündet.
Grund genug, diesem Negativkreislauf rechtzeitig entgegenzuwirken und für eine angemessen und stetige Bewegung unseres Pferdes – und uns selbst – sorgen.
Darf sich Euer Pferd in seiner Freizeit möglichst oft in langsamen Schritt bewegen, anstatt in der Box oder an der Raufe Wurzeln zu schlagen, profitieren seine Gelenk von der ruhigen und regelmäßigen Be- und Entlastung. Durch die Bewegung variieren die Bereiche größter Belastung, je nachdem ob das Bein vorne oder hinten ist. Die Lastaufnahme erfolgt mit langsamer Geschwindigkeit und ist nie von langer Dauer. So kann sich der Knorpel dieses Fesselgelenks stetig ansaugen und auspressen, ansaugen und auspressen, und seinen Stoffwechsel betreiben.
Bewegungseinschränkungen als Schadensmechanismus für den Knorpel
Haben wir das Glück (oder die Hartnäckigkeit) unserem Pferd ein solches Leben zu ermöglichen, ist es trotzdem wichtig, auf einen guten Zustand seiner Muskeln und Faszien zu achten.
Denn auch, wenn unser Pferd und wir uns viel bewegen, kann ein einzelnes Gelenk durch Verspannungen, Verletzungen oder Vernarbungen des umgebenden Gewebes eingeschränkt und unterbewegt werden.
Ist bspw. ein Fesselgelenk durch Überlastung in seiner Beweglichkeit eingeschränkt – ein recht häufiger Befund bei Pferden, die früh in den Sport oder die Arbeit genommen wurden – kann es beim Laufen das Körpergewicht und seine Bewegungsenergie nicht gleichmäßig auf die gesamte Fesselgelenksfläche verteilen; sie bleiben recht punktuell auf einem kleinen Knorpelbereich beschränkt. Dieser Bereich wird somit übermäßig belastet und läuft Gefahr, frühzeitig abgenutzt und unterversorgt zu werden.
Aber auch verspannte oder verletzte Muskulatur kann die anliegenden Gelenke einer ungleichmäßigen oder übermäßigen Belastung aussetzen. Beim Sprunggelenk verändert bspw. eine verspannte oder verletzte Ischiokruralmuskulatur die Biodynamik erheblich. Eine verspannte und verkürzte Brustmuskulatur rotiert das Vorderbein nach innen und beeinflußt so die Belastung von Karpal- und Fesselgelenk negativ. Schwache Bauchmuskeln und Rumpfträger lassen Brust- und Halswirbelsäule in latenter Überstreckung und Bewegungslosigkeit hängen.
Solchen individuellen Arthroserisiken könnt Ihr vorbeugen, indem Ihr Euer Pferd genau und regelmäßig beobachtet, mit den Augen und den Händen. Bewegt es sich gleichmäßig und harmonisch? Fühlt sich seine Muskulatur weich und entspannt an? Steht es entspannt auf allen 4 Hufen? Beantwortet Ihr diese Fragen über einen längeren Zeitraum mit ‚Nein‘, wird es sinnvoll sein, Euch Hilfe zu holen, um Euer Pferd anschauen zu lassen und/oder das Training zu ändern.