Aber welches sind eigentlich die richtigen Halsmuskeln?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir natürlich erst einmal wissen, welche Muskeln es am Hals so gibt. Und noch viel wichtiger: Was meinen wir überhaupt mit „die richtigen Halsmuskeln“?
Gibt es richtige und falsche Muskeln? Natürlich nicht. Das Pferd (wie wir und alle anderen Lebewesen auch) hat die Muskeln, die es für sein natürliches Leben so braucht und so gesehen sind alle Muskeln wunderbar richtig. Wir beziehen die Aussage ‚richtige Muskeln‘ meist auf die Nutzung als Reitpferd; erfreulicherweise aber auch immer öfter auf die Gesunderhaltung unseres Pferdes.
Genauer formuliert wäre unsere Frage also:
Welches sind die Muskeln, die die Halswirbelsäule unseres Pferdes schützen und ihm eine gesunde Haltung ermöglichen?‘
Welche Halshaltung ist gesund für unser Pferd?
In welcher Haltung bleiben die Halswirbelsäule und das sie umgebende Gewebe gesund? Am wenigsten überlastet werden die Gelenke, wenn die HWS in einer leichten, nach unten geöffneten C-Form ist.
In dieser Position sind die Facettengelenke, die Gelenke zwischen den Wirbelfortsätzen, in Neutralstellung. Die Gelenkflächen werden gleichmäßig und wenig belastet, kein Bereich wird ineinander oder punktuell gedrückt. Die Zwischenwirbellöcher, das sind die Öffnungen zwischen den Wirbeln, durch die die Nerven aus dem Rückenmark zusammen mit Blutgefäßen austreten, sind weit geöffnet, so dass weder Nerven noch Gefäße gedrückt oder gar gequetscht werden.
Die Zwischenwirbelscheiben, die Knorpelscheiben zwischen den Wirbeln ähnlich zu unseren Bandscheiben, unterliegen in dieser Position kaum Scherkräften.
Der Wirbelkanal, der ‚Tunnel‘ durch den das Rückenmark läuft, ist weit geöffnet und das Rückenmark wird nicht gedrückt.
Die Gelenkkapseln sind entspannt.
D.h. in einem leichtem, nach unten geöffnetem Bogen wird die HWS und ihre Gelenke entlastet und Nerven und Blutgefäße können ungehindert die Wirbel passieren.
Welche Halsmuskeln stellen die gesunde Haltung her?
Ein richtiger Halsmuskel: Der Splenius
Der Splenius ist der Muskel, der den schönen Hals macht, wenn Euer Pferd ein neues Pferd begrüßt oder einen Gegenstand beschnüffelt, von dem es noch nicht weiß, ob er gefährlich ist oder nicht. Bei Hengsten macht er den sprichwörtlichen Hengsthals, der alle Blicke auf ihn zieht.
Der Splenius entspringt seitlich an den Dornfortsätzen des Widerrists, genauer an Th 3, Th 4, Th 5 und verbindet sich mit den Querfortsätzen des 2. bis 5. Halswirbels. Im Bereich des Atlas bildet er eine starke Aponeurose, d.h. eine Sehnenplatte, die am Schädel, genauer an der Crista nuchae und Processus mastoideus, ansetzt.
Zum ‚richtigen‘ Muskeln macht den Splenius nun, dass er ventral, also unterhalb des Wirbelkanals an den Halswirbeln ansetzt. Ist er aktiv, werden die Halswirbel von unten getragen und unterhalb ihrer Gelenke stabilisiert. Die Facettengelenke bleiben so frei beweglich und die Wirbel nicht gestaucht. Die Fasern des Splenius zeigen, dass er auf aktive Bewegung, d.h. Kontraktion und Extension, ausgelegt ist. In der Bewegung kann er so Hals und Kopf in der Bewegung dynamisch tragen und starke Beschleunigungen von Hals und Kopf, wie sie bspw. im Trab oder Galopp durch die Schwebephase entstehen, exzentrisch abfangen und bremsen.
Der Splenius schützt die Gelenke der HWS somit davor, bspw. beim Landen aus der Schwebephase die Facettengelenke davor, durch die Beschleunigung ineinander gepresst zu werden. Die Ausprägung des Splenius bei Eurem Pferd könnt Ihr beurteilen, wenn Ihr ihm etwas unterhalb des Mähnenkamms den Hals entlang fahrt. Idealerweise spürt Ihr dann unter Eurer gesamten Hand eine muskulöse Rundung. Wenn Ihr unterhalb der Mähne eher einen festen, schmalen Strang spürt und dann in Richtung HWS in eine Kuhle fallt, dann darf der Splenius noch wachsen. Interessant ist auch immer der Seitenvergleich: ist der Splenius auf einer Seite ausgeprägter als auf der anderen?
Ein richtiger Halsmuskel: Der Serratus ventralis pars cervicis
Der Serratus ventralis pars cervicis ist der Halsteil (pars cervicis) des Rumpfträgers, des Serratus ventralis.
Der Serratus ventralis p.c. ist ein ganz wichtiger ‚richtiger‘ Muskel, da er die untere Halswirbelsäule und ihren Übergang zur Brustwirbel unterstützt. Er entspringt an der Innenseite des Schulterblattes an der Facies serrata und geht fächerförmig an an die Querfortsätze des 3. bis 7. Halswirbels. Damit setzt er unterhalb der Facettengelenke an und stabilisiert sie so von unten.
Seine Fasern sind stark sehnig durchsetzt, er ist also weniger ein aktiver Muskel als ein passiver, starker Tragemuskel und elastischer Energiespeicher. In der Bewegung, wenn das Pferd sein Vorderbein aufsetzt oder aus der Schwebephase landet, fängt er die Halswirbelsäule elastisch auf und schützt sie vor Stößen und Stauchungen.
Im Stand trägt er die Halswirbelsäule von unten und schützt sie bei einem guten Tonus davor, ‚durchzuhängen‘ und ineinander gedrückt zu werden. Gerade im unteren Bereich der HWS ist er ein ganz wichtiger Stabilisator, da dort die Wirbel nicht mehr durch das Nackenband getragen werden.
Die Ausprägung des Serratus ventralis p. c. bei Eurem Pferd könnt Ihr beurteilen, indem Ihr knapp oberhalb des 4., 5. und 6 Halswirbel über seinen Hals streicht. Idealerweise spürt Ihr oberhalb der Wirbel einen festen, satten Muskel. Je nach Muskeltonus Eures Pferdes könnt Ihr auch seine charakteristische Sägezahn-Struktur fühlen oder sogar sehen.
Interessant ist auch immer der Seitenvergleich. Bei vielen Pferden ist der Serratus auf einer Seite deutlich stärker; die bevorzugte Seite zur Kraftaufnahme. Auf der schwächer bemuskelten Seite wird Euch das Pferd vermutlich oft über die Schulter ausfallen.
Ein richtiger Halsmuskel: Der Longus colli
Der dritte Muskel im Bunde, der die HWS von unten stützt, ist der Longus colli. Im Unterschied zum Splenius und Serratus kommt er nicht von oben, sondern schmiegt sich von unten an die Halswirbel. ,
Er schmiegt sich zopfförmig von unten an die Halswirbel und den Beginn der Brustwirbelsäule und verbindet die Querfortsätze mit den Körpern der folgenden Wirbel. So stützt er die Halswirbel ventral und stimmt sie fein in der Beugung und Seitneigung ab. Da sein Brustteil bis zu den ersten Brustwirbeln geht, stabilisiert auch er den empfindlichen Übergang von Hals- zu Brustwirbelsäule.
Durch seinen gelenknahen, tiefen Verlauf ist der Longus colli nicht direkt zu tasten. Seine Ausprägung könnt Ihr aber indirekt beurteilen, indem Ihr Euch anschaut, wie leicht und geschickt Euer Pferd seinen Hals in Beugung bringen und bewegen kann. Wenn Ihr ihm etwas Interessantes zum Anschauen oder ein Leckerli reicht, macht es dann einen schönen Hals und kann es ihn in dieser Haltung geschmeidig bewegen? Natürlich spielen dabei auch alle anderen Muskeln und ihre Geschmeidigkeit eine Rolle.
Fazit
Zusammengefasst sind die richtigen Halsmuskeln also der Splenius, der Serratus ventralis p.c. und der Longus colli.
Aber bitte: Wie gesagt haben alle Muskeln ihre Aufgabe und Funktion. Kein Muskel ist per se richtig oder falsch. Ziel sollte immer eine ausgewogene Balance zwischen allen Muskeln sein. Und ganz wichtig: Schlimmer als ein vermeintlich falscher Muskel ist ein verspannter und/oder überlasteter richtiger Muskel.