Momentan ist es sehr in Mode, Pferdebesitzern ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie ihr Pferd zu wenig bewegen. Da gibt es Trainingspläne, die einen vollzeitarbeitenden Menschen mit nicht-reitenden Partnern in Verzweiflung und nicht wenige ihrer Pferde an ihre körperlichen Grenzen bringen. Im Stil eines schwedischen Möbelhauses wird gefragt, ob man sein Pferd denn schon trainiere oder noch bewege und woanders wird propagiert, drei Tage Wanderritt seien besser als zwei Tage.
Zugegeben: so wie wir Menschen haben auch unsere Pferde in der momentanen Gesellschaft und Zeit zu wenig Bewegung.
Aber so wenig, wie es einem menschlichen Körper gut tut, wenn er 8, 9 h verkrampft und gestresst vor dem Computer sitzt und dann abends noch aus Pflichtgefühl eine Stunde rennen geht, tut es unseren Pferden gut, wenn sie 22, 23 h in der Box oder der Heuraufe stehen und dann eine Stunde Vollgas geben sollen.
Aber auch wenn es die Sache auf den ersten Blick komplizierter macht - Bewegung ist eben nicht nur Kalorienverbrauch, Atemfrequenz und Pulsschlag - sondern Leben.
Leben ist Bewegung und Bewegung ist Leben. In jedem sich bewegenden Körper ist ein Geist und ein Herz, welche auch von der Bewegung profitieren möchten. Wer einmal beim Reiten oder Longieren in den Fluss mit seinem Pferd gekommen ist, beim Tanzen von der Musik mitgenommen wird oder ein Runner’s High hatte, der weiß, was ich damit meine. Bewegung ist ein bisschen wie Essen: es geht nicht nur um kalte Fakten und Zahlen, sonst könnten wir uns schon alle mit praktischen Tabletten alle notwendigen Nährstoffe zuführen, sondern um Genuss, Freude und Liebe.
Puh, ich höre schon das verzweifelte Aufstöhnen; jetzt sollen wir also nicht nur uns und unser Pferd in die Form eines Athleten bringen - sondern es auch noch genießen?
Ja. Wenn Ihr es genießt, Euch zu fordern und sogar ein Pferd habt, dass dies auch tut – nichts wie los, lebt Euch aus und genießt Eure Kraft und körperliche Stärke. Wenn aber Eure Qualitäten und Stärken in diesem Leben in einem anderen Bereich liegen – dann lebt diesen aus und genießt dort Eure Kraft und wie auch immer geartete Stärke. Ohne schlechtes Gewissen und Vorwürfe. Ihr habt in Eurem Leben eine ganz bestimme Aufgabe, für die Ihr bestens ausgestattet seid. Genauso Euer Pferd. Und für die meisten von uns wird diese Aufgabe nicht darin bestehen, ein Hochleistungssportler zu sein. Vielleicht seid Ihr und Euer Pferd als beste Freizeitreiter geboren. Als unerschrockenste Ausreiten. Als ausdauerndste Spaziergänger. Als Vorbild für die pferdefreundlichste Haltung, bei der Ihr und Eure Pferde im Alltag Euch schon viel und gut bewegt. Oder als einer der starken Menschen, die ihrem Pferd auch in einer chronischen Krankheit die Treue halten und ihm unter vollen Einsatz ein schmerzfreies Leben ermöglichen. Leben ist Bewegung, aber beides hat viele Gesichter. Ich wünsche Euch, dass Ihr Eures findet und voller Freude Euren Weg geht.