Nebeneinander Schritt gehen? Das ist doch total einfach und total langweilig, oder nicht?
Nicht unbedingt. Schaut man Menschen einmal zu, wie sie ihre Pferde warm führen (wenn sie es tun) oder mit ihnen von A nach B gehen, dann sieht man ziemlich oft Geziehe, Geschiebe, Geschimpfe oder bestenfalls ein holpriges „Wir gehen in eine Richtung.“
Und dann sieht man hin und wieder Mensch-Pferd-Paare, die so eingespielt und so abgestimmt nebeneinander herfließen, dass es eine Freude ist.
Woran liegt das? An einem gemeinsamen Rhythmus und feiner Synchronisation.
Wenn Ihr einmal Pferde beobachtet, die sich gut verstehen und entspannt sind, könnt Ihr bemerken, dass sie sich fast synchron bewegen. Das gleiche Bein wird beim Grasen vorgestellt, es wird sich gleichzeitig gekratzt und im Gleichschritt geht es zur nächsten Knabberstelle.
Für Pferde ist diese Synchronisation ganz wichtig. Sie gibt ihnen Sicherheit und die Möglichkeit, sich auch ohne Worte zu verständigen und zu spüren, was der andere spürt (und sieht).
Aus zwei individuellen Rhythmen wird ein neuer.
Wenn wir uns einen sicheren und entspannten Umgang mit unserem Pferd wünschen, ist diese Synchronisation ein wunderbarer (der einzige?) Weg dorthin.
Die Herausforderung für uns Kopf-Wesen: diese Synchronisation, den gemeinsamen Rhythmus können wir nicht erzwingen. Wir können ihn nur zulassen. Indem wir bereit sind, unsere Erwartungen zuhause oder im Auto zu lassen und neugierig und offen auf die heutige Begegnung mit unserem Pferd sind. Indem wir bereit sind, unser Wollen und Müssen beiseite zu stellen (d.h. sie dürfen da sein, stehen aber nicht im Zentrum!) und auf unser Gefühl und die Signale unseres Pferdes zu hören. Indem wir bereit sind, unseren Rhythmus dem unseres Pferdes anzupassen – ohne uns dabei zu verlieren oder in den Schatten zu stellen.
Wenn wir neben einem Pferd gehen, müssen wir meist etwas flotter – aber oft auch viel langsamer als wir uns das wünschen!! – gehen. Sind wir bereit, uns darauf einzulassen? Und auch unser Pferd muss seine Schritte an uns anpassen und vor allem seinen großen, starken Körper sehr gut ausbalancieren, um neben unserem kleinen Menschenkörper mit seinen viel langsameren Reaktionen sicher herzugehen. Wird es sich darauf einlassen? Ja. Wenn es spürt, dass wir bei der Sache sind und uns Einklang mit ihm wünschen, wird es das tun!
Zusammen in den Einklang.
Deshalb finde ich es so schön und wichtig, vor der gemeinsamen Aktivität erst einmal diese Synchronisierung herzustellen. Am einfachsten gelingt dies beim ruhigen, entspannten nebeneinander Hergehen. Mit lockeren Strick, Zügel oder Longe, denn Ihr könnte Euch nicht gegenseitig in den gleichen Rhythmus ziehen! Und einem gemütlichen Abstand, in dem Ihr beide genug Raum für Eure Körperbewegungen und zum Atmen habt!
So geht Ihr einfach mal ein paar Runden, entspannt Euch und schaut, was passiert. Nach einiger Zeit werdet Ihr bemerken, dass das „Führen“ immer leichter wird, Euer Pferd immer freier neben Euch hergeht. Dass Ihr immer mehr in einen Gleichschritt kommt.
Das ist toll! Genießt diese Momente und das Gefühl der Übereinstimmung. Denn dieses Gefühl der Gemeinschaft ist doch eigentlich das, was wir uns mit unserem Pferd wünschen.
Eine neue Welt...
Neben dem schönen Gefühl der Einstimmigkeit könnt Ihr in diesen Momenten viel über Euer Pferd (und Euch selbst) erfahren.
...psychisch
Ihr könnt spüren, wie gut Ihr Euer Pferd schon kennt. Wenn Ihr Euer Pferd schon lange habt, viel Zeit miteinander verbringt und Euch viel miteinander bewegt, wird Euch diese Synchronisation vermutlich sehr leicht fallen und Ihr könnt sie auch nach Störungen leicht wieder herstellen. Das ist so schön, freut Euch daran!
Habt Ihr Euer Pferd neu, nutzt diese Gelegenheit, um Euch kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Seid neugierig auf Euer Pferd, wie es sich bewegt, wie Ihr in seiner Nähe seid.
Seid Ihr mit Eurem Pferd in einer neuen Umgebung oder es gab Stress für Euer Pferd), könnt Ihr mit dem nebeneinander Gehen Eurem Pferd Sicherheit, Ruhe und Entspannung geben. Es wird es dankbar annehmen!
...körperlich
Ihr könnt spüren, wie ausbalanciert Ihr jeweils und zusammen seid. Vielleicht klappt der Gleichschritt auf der Geraden schon gut, aber in der Kurve noch nicht. Vielleicht klappt es auf der einen Hand schon richtig gut, aber auf der anderen Seite gar nicht.
Und dann könnt Ihr Euch einmal fragen, wie es beim Reiten aussieht? Habt Ihr dort vielleicht ähnliche Probleme?
Ich glaube, dass dieses nebeneinander hergehen eine perfekte Vorbereitung fürs Reiten ist. Denn wenn wir nicht einmal in einem Rhythmus nebeneinander her- oder um die Kurve gehen können, wie soll es dann klappen, wenn wir auf unserem Pferd sitzen? Wir also von einer Situation, in der sich jeder frei bewegt, in eine wechseln, in der unsere Bewegungen eng verbunden und eine Balance nur gemeinsam möglich ist?
Oder Ihr spürt Unreinheiten im Takt Eures Pferdes; dass es auf der einen Seite nicht so flüssig geht, den Kopf mehr oder weniger pendelt oder mit einem Huf mehr aufstampft. Wenn Euch so etwas auffällt, beobachtet es erst einmal, ohne in Panik zu verfallen. Geht selbst bewusst weiter, atmet und beobachtet, ob die Bewegung Eures Pferdes gleichmäßiger wird, wenn Ihr selbst bewusster geht. Vielleicht wird es besser, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall habt Ihr eine Erkenntnis gewonnen und versteht, warum manche Bewegungen und Übungen Eurem Pferd vielleicht schwerer fallen.
Wenn es nicht klappt.
Könnt Ihr diese Einstimmigkeit nicht herstellen, helfen Euch folgende Fragen:
Seid Ihr mit Eurer Aufmerksamkeit ganz bei dem, was Ihr da tut? Bei Eurem Gehen, Eurem Körper und Eurem Pferd? Oder seid Ihr in Gedanken noch bei der Arbeit oder dass Ihr später noch Einkaufen müsst oder eigentlich gar keine Zeit für dieses Schritt gehen habt?
Oder habt Ihr Angst? Angst, dass Euer Pferd wegspringt, Euch umrempelt, sich losreisst? Weil es eben schon so oft passiert ist und Ihr Euch wehgetan und erschrocken habt?
Oder hat Euer Pferd Angst? Weil es in der einen Ecke nie sehen kann, was hinter der Bande ist? Oder weil es so windig ist, dass es eine Gefahr nicht rechtzeitig hören könnte?
Oder ist es unkonzentriert? Weil seine Freunde auf der Weide sind und es selbst nicht? Oder Ihr die ganze Woche schon viel gearbeitet habt?
Versucht, Euch diese Fragen so ehrlich wie möglich zu beantworten – und die Antwort anzunehmen und zu akzeptieren. Nur weil Ihr wollt, dass Ihr oder Euer Pferd konzentriert oder angstfrei seid, muss das noch lange nicht sein. Seid nett zu Euch und Eurem Pferd und wenn Ihr merkt, dass Ihr die Situation heute nicht lösen könnt – dann tut Euch den Gefallen und lasst es sein. Oft kann man solche Probleme zuhause in Ruhe besser lösen als in der Halle mit einem nervösen Pferd neben sich.
Häufig beobachte ich auch, dass die Pferde sehr müde werden und dösen wollen, wenn sie merken, dass Ihr Mensch sich mit ihnen synchronisieren möchte. Das ist dann kein Fehler, sondern Eure Botschaft ist angekommen! Sobald sie merken, dass Ihr beginnt zuzuhören, beginnen sie zu kommunizieren. Und eine häufige Botschaft ist: Ich bin müde. Ich möchte mich ausruhen. Wie Ihr herausfindet, wovon Euer Pferd so müde ist, erzähle ich Euch in einem eigenen Artikel.